3.1 Schwächen

Schwächen


Sich der eigenen Identität bewusst zu sein bedeutet zu wissen, was Sie von anderen unterscheidet. Die Unterscheidung geschieht über das Bewusstmachen von Stärken, Schwächen bzw. Eigenschaften. Wer seine Identität kennt, besitzt ein gesundes Selbstbewusstsein. Für ein gesundes Selbstbewusstsein ist das Wissen über die eigenen Schwächen und Stärken elementar.

Eine Identität entsteht durch den Vergleich und durch die Abgrenzung von anderen Menschen. Für diese Abgrenzung reicht es allerdings festzustellen, wenn eine Eigenschaft anders ist, es bedarf keiner Bewertung. Um die Identität zu entwickeln, ist eine Abwertung der eigenen oder einer fremden Person nicht notwendig. Aufgrund ihrer Sozialisation neigen Menschen aber dazu, Eigenschaften nicht einfach nur als anders wahrzunehmen, sondern sie im Vergleich mit den eigenen zu werten. Eine Eigenschaft ist dann nicht nur anders, sondern schlechter oder besser.

Beachten Sie: Das Gegenteil von Abwertung ist die Aufwertung, von Verachtung die Achtung, von Hass die Liebe. Fangen Sie an sich aufzuwerten, sich zu achten und sich zu lieben.

Ein Mensch mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen muss nicht abwerten. Seine Stärke ist von innen heraus vorhanden und muss nicht künstlich durch eine Wertung oder einen wertenden Vergleich aufpoliert werden.

Fragen Sie sich, warum Sie werten, statt sich nur mittels Feststellens der Andersartigkeit abzugrenzen. Denn es ist ein Unterschied, ob Sie denken „XY ist besser als ich“, statt „XY ist anders als ich“. Beim Letzteren wird sich abgegrenzt bzw. sich eingeordnet und beide Personen können gleichberechtigt nebeneinander bestehen. Wer wertet oder abwertet, begegnet sich und anderen nicht auf Augenhöhe. Ohne Wertung existieren keine Schwächen mehr, sondern die Eigenschaften kommen wieder in den Fokus.

Wieso werden eigentlich bestimmte Eigenheiten oder Eigenschaften als Schwächen bezeichnet? Woher kommt diese Abwertung, die nicht selten zu Minderwertigkeitskomplexen führt? Wie kommt eine Bewertung zustande? Diese Frage ist elementar, denn erst eine Bewertung macht aus Eigenschaften Schwächen.

Bewertungen entstehen durch Konditionierung bzw. durch Sozialisation, indem soziale Normen vermittelt werden. Ein Kind ist zunächst von sich überzeugt und findet sich genial und einzigartig. Wenn sich diese Einstellung zu sich selbst im Laufe des Lebens verändert, ist das eine Reaktion auf das Umfeld. Die Grandiosität wird einem Stück für Stück genommen, bis ein unsicherer und sich infrage stellender Mensch übrig bleibt. Erst dann scheint das Umfeld nichts mehr zu kritisieren.

Ein Mensch, der einen Teil von sich verheimlicht, ist selten authentisch oder selbstbewusst. Geht es ihm doch vor allem darum, den „annehmbaren Teil“ in der Öffentlichkeit gut zu präsentieren sowie den „nicht annehmbaren Teil“ zu verstecken. Dadurch macht er sich angreifbar.

Wenn man sich zu all seinen Eigenschaften bekennt, nimmt man anderen die Macht, etwas „Negatives“ bei einem zu entdecken und es für sich zu nutzen. Ein Mensch, der sich zu sich bekennt, kann seine Energie anderweitig nutzen. Zum Beispiel, um zu sich zu stehen, sich zu stärken, zu beobachten oder zu reflektieren, um seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen.

Wie man mit sich selbst umgeht, äußert sich im Verhalten und damit in den Interaktionen. Wer zu sich steht, kann beispielsweise im Gespräch leichter auf der Sachebene kommunizieren und ist generell weniger angreifbar. Wer dagegen bestimmte Eigenschaften versteckt und dann darauf angesprochen wird oder kurz davorsteht, entlarvt zu werden, agiert nicht auf der sachlichen, sondern auf der emotionalen Ebene und in Verteidigungshaltung. Äußerungen anderer werden schnell persönlich genommen und trüben das eigene Urteilsvermögen. Wer Angst hat, entlarvt zu werden, befindet sich in einer schwachen Position. Dann ist es schwierig, mit anderen auf Augenhöhe zu interagieren. Aber genau da gehört jeder Mensch hin: auf Augenhöhe mit den anderen.

Wer seine Schwächen kennt und aufhört sie zu verheimlichen, steht zu sich und stärkt sich von innen. Deshalb beschäftigen Sie sich nun eingehend mit Ihren Schwächen. Wenn Sie sich mit Ihren Schwächen auseinandersetzen, werden Sie sich nicht mehr über Ihre Schwächen identifizieren – weil Sie diese Schwächen genauer unter die Lupe nehmen und schauen, ob sie überhaupt Schwächen sind oder lediglich Eigenschaften.

Aufgabe:

Listen Sie Ihre Schwächen auf, ob kleine oder große. Schreiben Sie alles auf, was Sie an sich nicht mögen, was Sie verbessern wollen oder meinen verbessern zu müssen. Was wird von Ihnen erwartet, was Sie derzeit nicht leisten? Wo sehen Sie Ihre Defizite? In welchem Bereich hinken Sie hinterher? Welche Eigenschaften sind mangelhaft, welche ausbaufähig, welche nicht annehmbar? Was konnten Sie noch nie? Was werden Sie nie lernen? Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt.

Wer eher seine Schwächen als seine Stärken sieht, fühlt sich unterlegen, klein, unbedeutend. Depression oder Burn-out sind dann nicht fern. Je nachdem, wie extrem man diese Schwächen an sich wahrnimmt und abwertet, können auch Beziehungsarmut, Liebesunfähigkeit, eine einseitige Abhängigkeit von einem anderen Menschen, eine Soziophobie, die generelle Angst, etwas falsch zu machen, und in manchen Situationen Sprachhemmungen folgen.

Sehen Sie vor allem Ihre Schwächen, behindern Sie sich selbst. Sie hindern sich daran, aus sich herauszugehen, an sich zu glauben, Ihr Leben zu leben, Ihre Talente zu entdecken, Wünsche und Träume nicht nur zu haben, sondern sie aktiv anzugehen. Die Liste mit Schwächen, die jetzt vor Ihnen auf dem Tisch liegt, ist für Sie ein Grund unzufrieden zu sein. Leider hilft es nicht, wenn Sie die Liste einfach verbrennen. Damit wäre der Zettel weg, aber Ihr Glaube an ihre Schwächen immer noch da. Die Schwächen gilt es langsam aber sicher umzuwandeln in Eigenschaften. Machen Sie aus Schwächen Eigenschaften. Damit schwindet der Makel, der Schwächen anhaftet. Bitte notieren Sie das heutige Datum auf der Liste und schauen Sie sich Ihre Liste von Zeit zu Zeit wieder an. Nach und nach werden Sie Schwächen streichen bzw. eine andere Einstellung zu diesen Eigenschaften bekommen.

Man kann auf verschiedene Weise mit seinen Schwächen umgehen. Heute ist es gängig, sich auf seine Schwächen zu stürzen und sie auszumerzen. Die sogenannten Schwächen werden aufgrund eines Bewertungssystems beurteilt, das sich durch soziale Normen entwickelte. Der Nachteil an diesem Bewertungssystem ist, dass Eigenschaften nicht mehr als das gesehen werden, was sie sind, sondern durch die Bewertung als Makel oder vorzeigbar gelten. Dieses Bewerten reduziert eine Eigenschaft auf schlecht oder gut, vorzeigbar oder nicht vorzeigbar, abzustellen oder zu belassen. Je nach Bewertungssystem erhält eine Eigenschaft das Etikett „geht“ oder „geht nicht“. Somit vereint jeder Mensch zwei Kategorien in sich, die der gesellschaftlich annehmbaren Eigenschaften und die der unbedingt abzustellenden Eigenschaften. Letztere sollen verschwinden, verheimlicht oder verdrängt werden, manchmal um jeden Preis. Wer das verinnerlicht und perfektioniert, ist nur ein halber Mensch. Einer, der funktioniert und ins „System“ passt.

In einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der Menschen vermeintlich nur bestehen können, indem sie anderen Menschen aufzeigen, wo deren Schwächen liegen, versucht jeder, seine Schwächen zu verheimlichen. Man möchte sie unter allen Umständen beseitigen und andere sollen erst gar nicht mitbekommen, welche Schwächen man hat. Aber was ist das für ein anstrengendes Leben, wenn man überall und immer versucht, die eigenen Schwächen zu kaschieren oder zu verheimlichen, statt sie anzunehmen und zu akzeptieren? Ständig besteht die Gefahr, erkannt und entlarvt zu werden.

 

Abriss

Wer Verantwortung für sich übernimmt, ist bereit, seine Eigenschaften zu akzeptieren. Erst wenn man sie entsprechend bewertet, wird aus einer Eigenschaft eine Schwäche. Ändern Sie Ihre Bewertung sich selbst gegenüber!


Dieses Kapitel ist aus dem Ratgeber “Hochbegabt oder hochsensibel – Das Anderssein leben” eine Anleitung zum Selbstcoaching für mehr Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstliebe.

Eure, Manon García

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