6.1 Selbstliebe

Selbstliebe


Die Selbstliebe ist eine allumfassende Annahme der eigenen Peson, von sich selbst, eine uneingeschränkte Liebe, auch Eigenliebe genannt. Zur Selbstliebe gehört, sich selbst anzunehmen: das Aussehen, persönliche Eigenschaften, Talente, Neigungen, Schwächen, Fehler, Versäumnisse.

Selbstliebe heißt, dass Sie sich bewusst Ihren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen zuwenden. Nehmen Sie sich ernst und wichtig und verwirklichen Sie sich. Zur Selbstliebe gehört auch die Selbstachtung. Achten Sie außerdem bewusst auf Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden. Das bezieht sich auf Ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl.

Die Selbstliebe entwickelt sich aus dem Selbstwertgefühl, dem Gefühl, wertvoll und liebenswert zu sein. Die Selbstliebe wiederum ist maßgebend für das Selbstvertrauen, welches Ihnen die Sicherheit gibt, Ihre Ziele und Wünsche zu erreichen. Wer sich selbst liebt und Selbstvertrauen hat, liebt und schätzt andere Menschen ohne überzogene Erwartungen und ohne sie verändern zu wollen.

Viele Menschen möchten für andere da sein, sich um andere kümmern, andere lieben, ihren sozialen Pflichten nachkommen – aber die Grundlage, um andere Menschen zu lieben, ist die Selbstliebe, so Erich Fromm. Laut Luise Reddemann ist Selbstliebe die Voraussetzung für eine gute Verbindung zur Welt und zu anderen Menschen. Selbstliebe kommt vom Selbstwertgefühl, sie bestimmt zum Großteil das Selbstbild und ist die Basis für einen wertschätzenden Umgang mit anderen Menschen. Somit prägt die Selbstliebe die Interaktionen mit anderen Menschen und ist mitnichten egoistisch, sondern das genaue Gegenteil. Selbstliebe ist also weder egozentrisch noch wichtigtuerisch oder unsozial. Auch hat die Selbstliebe nichts mit Narzissmus zu tun, denn Narzissten lieben sich und ihre Nächsten nicht. Dazu sind sie nicht fähig. Selbstliebe wird zu Unrecht in diese Ecke geschoben bzw. negativ bewertet.

Mit der Liebe ist es wie mit einer Wippe: Sie funktioniert nur, wenn der Einsatz auf beiden Seiten gleich ist. Geben Sie all Ihre Liebe an andere ab, ist das nicht ausgewogen. Ist all Ihre Liebe nur für Sie selbst da, ist das ebenfalls nicht ausgewogen. Ihr Ziel sollte sein, Ihre Liebe gleichmäßig aufzuteilen. Nur an andere denken, sie mit Liebe überschütten, wird dazu führen, dass sie unter der Last zusammenbrechen, zumal diese aufopferungsvolle, totale Liebe meist mit einer Erwartung verknüpft wird, die diese Personen nicht erfüllen können, wollen, sollten.

Selbstliebe unterstützt das selbstbestimmte Leben, bei fehlender Selbstliebe kommt es nicht selten zu psychischen Problemen. Selbstliebe ist somit kein schmückendes Beiwerk, sondern die Grundvoraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben.

Aufgabe

Wie denken Sie über sich: liebevoll und aufbauend oder vernichtend und negativ? Welcher Art sind Ihre inneren Selbstgespräche, wenn Ihnen etwas nicht glückt oder wenn Sie kritisiert werden? Wenn Ihnen etwas glückt oder Sie Anerkennung von außen bekommen? Können Sie sich selbst annehmen? Wie finden Sie Ihr Äußeres, Ihr Aussehen? Wie begegnen Sie Ihren persönlichen Eigenschaften, Ihren Talenten, Neigungen, Schwächen, Fehlern oder Versäumnissen: wohlwollend oder abwertend? Verzeihen Sie sich Handlungen oder Äußerungen, die unangebracht waren, oder halten Sie sich diese ständig vor? Nehmen Sie Ihre Bedürfnisse und Wünsche ernst? Oder stellen Sie sie ständig hintan? Wie achten Sie auf Ihre Gesundheit, was tun Sie für Ihr Wohlbefinden? Stellen Sie Ihre Gesundheit, Ihr Wohlbefinden hinter andere Dinge zurück, die scheinbar, vermeintlich wichtiger sind? Auch hier gilt es, sich ständig und stetig zu reflektieren und zu hinterfragen. Fragen Sie sich, was Sie ändern können, wollen oder müssen, um Ihre Selbstliebe aufzubauen.

Was könnten Sie für sich tun? Verwöhnen Sie sich. Schreiben Sie sich eine Verwöhnliste und vereinbaren Sie feste Termine mit sich. Verwöhntermine, die fix sind. Freuen Sie sich auf diese Termine, wählen Sie Aktivitäten, denen Sie entgegenfiebern. Je größer die Vorfreude ist, umso geringer ist das Risiko, dass Sie den Termin verschieben oder vergessen. Sie könnten ein Buch lesen, ein Verwöhnbad nehmen, einen Wellnesstag einlegen, sportliche Aktivitäten und Ausflüge planen, sich Eintrittskarten für Konzerte, Lesungen, Theatervorstellungen reservieren … Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Alles ist erlaubt!

Begegnen Sie sich als beste Freundin / bester Freund, als Geliebte/Geliebter, als Partnerin/Partner, verabreden Sie sich mit der wichtigsten Person in Ihrem Leben: mit sich selbst. Geben Sie sich Mühe, um sich zu verwöhnen, schmeißen Sie sich ins Zeug. Sie werden sehen, wie sich mit jedem dieser Termine etwas in Ihnen verändert. Beobachten Sie sich, horchen Sie in sich hinein und erleben Sie, wie gut Ihnen diese Termine tun, wie Sie neue Kraft und Energie tanken und sich erholen. Erlauben Sie sich Ihre Wünsche. Sollten Sie sich einen Sonntag im Bett wünschen, dann machen Sie das und genießen Sie es. Lassen Sie Ihr schlechtes Gewissen außen vor, vor allem und besonders bei diesen Terminen. Sie sind es wert!

Halten Sie während dieser Verwöhnzeiten auch einige Minuten frei, um sich zu notieren, was Sie gut können und machen. Was Sie auszeichnet, was Sie an sich mögen und lieben. Sollte Ihnen partout nichts einfallen, beginnen Sie mit Dingen, die andere an Ihnen mögen. Aber nur in diesem Fall. Ansonsten gilt, dass Sie sich selbst fragen. Notieren Sie ebenfalls positive Veränderungen, Fortschritte und wertschätzende Erlebnisse.

Aufgabe

Welche Erwartungen und Wünsche haben Sie an andere? Was suchen Sie in Beziehungen oder Partnerschaften, was in Freundschaften? Wann genau sind Sie glücklich und zufrieden und welche Bedingungen sollten dafür erfüllt sein? Was sollen andere dazu beitragen? Erinnern Sie sich an zurückliegende Situationen, in denen Sie unglücklich waren, weil andere etwas unterließen oder Ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden? Erwarten Sie beispielsweise, bedingungslos geliebt zu werden? Wollen Sie respektiert und geschätzt werden, so wie Sie sind, ohne Vorbehalte? Fragen Sie sich, ob Sie auch mit sich so umgehen: Lieben Sie sich bedingungslos? Wertschätzen Sie sich vorbehaltlos? Wenn nein, wieso erwarten Sie es von anderen? Wenn Sie es von anderen erwarten, warum dann nicht auch von sich selbst?

Fehlende Selbstliebe ist oftmals der Grund, warum Menschen unzufrieden sind. Wer sich selbst nicht akzeptiert, kann nur unzufrieden sein. Denn der einzige Mensch, der immer an Sie glauben sollte, sind Sie! Fehlt das, fehlt Ihnen die Basis. Sie kehren sich selbst den Rücken zu, lehnen sich selbst ab. Manchmal führt das sogar so weit, dass Sie sich hassen. Wer sich selbst so wenig achtet, wertschätzt oder akzeptiert, geht hinaus in die Welt – und erwartet, dass die anderen Menschen genau das tun, was man sich selbst verweigert? Ihr Umfeld, der Partner / die Partnerin, die Bezugsperson soll Sie lieben, wertschätzen, achten, akzeptieren, wenn Sie es selbst nicht tun?

Andere sollen etwas tun, wozu Sie selbst scheinbar nicht in der Lage sind. Fangen Sie sofort damit an, Dinge zu tun, die Sie bis dato nur von anderen erwarteten. Wollen Sie bedingungslos geliebt werden? Dann lieben Sie sich bedingungslos! Sie wollen wertgeschätzt werden? Wertschätzen Sie sich! Sie wünschen sich, dass andere Ihre Grenzen wahrnehmen und respektieren? Nehmen Sie Ihre Grenzen wahr und respektieren Sie sie, indem Sie sie einfordern und verteidigen! Wünschen Sie sich, dass andere Ihre Gefühle achten und schätzen? Schätzen und achten Sie Ihre Gefühle!

Ist es für Sie wichtiger, wenn andere Ihnen sagen, dass Sie toll sind, als wenn Sie es sich selbst sagen? Falls Sie jetzt antworten, dass es viel wichtiger und schöner ist, wenn es andere sagen, sollten Sie Ihre Beziehung zu sich selbst, also Ihre Selbstliebe, überdenken. Wenn Sie sich selbst lieben, wollen Sie, dass es so bleibt, und werden alles dafür tun, dass Sie nicht von Ihrem Weg abkommen. Sie machen sich selbst nicht nur zu einem wertvollen Menschen, sondern Sie machen sich auch unabhängig von Ihrem Umfeld. Stellen Sie sich vor, Sie brauchen Liebesbekundungen und aus Ihrem Umfeld ist niemand greifbar, was nun? Wenn Sie sich ablehnen und keine andere Person für Sie da ist? In diesem Moment spüren Sie, wie wichtig es ist, dass Sie an sich glauben, sich wertschätzen und sich lieben.

In den Kapiteln Erwartungen, Abwehrmechanismen und Schatten wird deutlich, dass Wünsche, die Sie an andere stellen, im Grunde genommen Ihre Wünsche an sich selbst sind. Suchen Sie in einer Partnerschaft den starken Halt, fehlt er Ihnen selbst. Sie suchen nach Halt, und da Sie ihn bei sich nicht finden, suchen Sie ihn bei anderen. Bauen Sie diesen Halt selbst auf und hören Sie auf, ihn ersatzweise von anderen einzufordern. In Ihnen steckt mehr, als Sie denken. Andere Menschen sind nicht dafür da, eigene Lücken bzw. Leerstellen auszugleichen, wenn sie dazu überhaupt in der Lage sind. Übernehmen Sie für sich Verantwortung und erfüllen Sie sich Ihre Wünsche.

Lieben Sie sich selbst, indem Sie negative Gedanken unterbinden, sich selbst gegenüber mitfühlend denken und handeln, negative Aber-wenn-Spiralen hinterfragen und auf den Grund gehen, sich selbst gegenüber geduldig sind, sich loben und anerkennen, nachsichtig sind, sich positiv betrachten, sich anlächeln oder streicheln. Seien Sie sich selbst die Geliebte / der Geliebte.

Von anderen nicht mehr geliebt zu werden ist nur dann eine Bedrohung, wenn ohne diese Liebe nichts mehr übrig bleibt. Nicht mal Ihre Liebe zu sich. Wenn Sie sich lieben und sie nicht mehr geliebt werden, fallen Sie auch, aber Sie werden auf Ihrer Selbstliebe weich landen. Natürlich tut es weh, nicht mehr geliebt zu werden, und jeder Mensch sehnt sich danach, Liebe zu finden. Aber eine Liebe soll die Selbstliebe ergänzen und nicht ersetzen. Solange eine Liebe die Selbstliebe ersetzt, wird die Angst, diese Liebe zu verlieren, das Leben beeinflussen und das eigene Handeln manipulieren. Die Angst vor dem Verlust der Liebe erpresst Sie!

Manche Menschen müssen erst ganz am Boden sein, um zu sich zu finden. Manchen muss alles wegbrechen, wie Anerkennung und Lob durch Arbeit, Sport, Familie, Freunde, und andere müssen erst krank werden, um etwas zu ändern. Was bleibt übrig, wenn alle Anerkennung von außen wegbricht – und man auch keine Selbstliebe hat? Selbstliebe ist das Einzige, was niemals geht, wenn Sie es nicht zulassen. Sie ist immer bei Ihnen, egal, was um Sie herum, in Ihrem Umfeld passiert.

Manchmal braucht es eine schreckliche Situation, in der alles zusammenbricht, um zu sich zu finden. Vorher war alles andere wichtiger und Sie mussten nichts ändern, sondern konnten am Alten festhalten, im Glauben, es wäre der richtige Weg und es würde wieder besser. Nun ist eine neue Situation da. Lassen Sie sich auf die Situation ein, die es Ihnen ermöglicht, einen Neuanfang zu wagen und sich selbst zu lieben. Sehen Sie einen Zusammenbruch als Chance.

Selbstliebe und Anerkennung von Leistungen sollten niemals verwechselt werden. Wenn ich Sie frage, was Sie an sich lieben, möchte ich keine Leistungsprotokolle hören, sondern, was Sie an sich lieben. Was mögen Sie an sich? Auf welche Eigenschaften sind Sie stolz? Sind Sie sensibel, nachdenklich, wissbegierig …? Es geht um Eigenschaften, nicht um Erfolge.

Denken Sie immer daran: Die einzige Person, die immer bei Ihnen ist, sind Sie selbst. Und wer mag schon ein Leben mit einer Person verbringen, die er nicht mag oder sogar ablehnt? Genau! Das kann nichts werden. An dieser Beziehung sollte man tunlichst arbeiten, Sie sollten an sich arbeiten und sich fragen, wie Ihnen Ihre Selbstliebe ausgeredet oder gar ausgetrieben wurde. Wie können Sie zulassen, dass Sie sich selbst ablehnen und respektlos behandeln? Drehen Sie den Spieß um und holen Sie sich zurück, was Sie auf jeden Fall in Ihrem Leben schon einmal besaßen: Ihre Selbstliebe.

 

Abriss

Selbstliebe ist die Grundlage für Selbstannahme und Selbstbewusstsein. Sie wissen, dass Sie nicht perfekt sind, aber Sie wissen auch, dass Sie so, wie Sie sind, perfekt sind.


Dieses Kapitel ist aus dem Ratgeber “Hochbegabt oder hochsensibel – Das Anderssein leben” eine Anleitung zum Selbstcoaching für mehr Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstliebe.

Eure, Manon García

2 Replies to “6.1 Selbstliebe”

  1. Liebe Manon,

    mir gefällt der Vergleich mit der Wippe… das ist so wahr.

    Doch auch dieses finde ich wichtig, für uns alle als Gesellschaft:
    Die Geschichte zeigt uns, dass uns seit Jahrhunderten der Zugang zu uns selbst verwehrt wurde. Durch die Christianisierung, wurden wir zu Schuldigen zu Sündern. Man musste sich selbst verleugnen, um zu überleben.

    Das hat meines Erachtens einen großen Einfluss auf den Umgang mit uns selbst gehabt und hat es bis heute noch. Denn wer als Schuldig abgestempelt wird, hat es sehr schwer sich selbst Liebe zu schenken. Der Selbsthass wurde damit schon vorprogrammiert.

    Die Selbstliebe wird wiederum enorm unterschätzt. Und nicht nur das, sie wird zusätzlich noch diskreditiert.

    Danke für Deinen so tiefgründigen Beitrag.

    Alles Liebe Frank

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